Shortlist 2023


Vier aktuelle Bücher hat die Jury des Literaturpreis Ruhr auf die Shortlist 2023 für den mit 15.000 Euro dotierten Hauptpreis gesetzt. Vier herausragende Titel, die vom Ruhrgebiet handeln oder hier entstanden sind.

Die diesjährige Bestenliste hält eine Premiere bereit: Zum ersten Mal ist ein aus einer Fremdsprache ins Deutsche übersetztes Werk nominiert. Der Gedichtband „Grabtuch aus Schmetterlingen“ ist zweisprachig auf Arabisch und Deutsch erschienen, weshalb nicht nur die Autorin selbst, sondern auch ihr Übersetzungsteam für den Preis infrage kommt. Neben zwei Debütromanen steht ein Familienroman auf der Liste.


Die Shortlist in alphabetischer Reihenfolge samt Begründungen der Jury:

Lina Atfah: Grabtuch aus Schmetterlingen. Gedichte. Aus dem Arabischen übersetzt und nachgedichtet von Brigitte Oleschinski und Osman Yousufi

Lina Atfah erschafft mit ihren Gedichten eine Welt, die konkret und sinnlich, dabei gleichzeitig universell und doppelbödig ist. Witz, Kampfeslust, zarte Stille, schier unfassbares Leid und naive Weltverliebtheit – bei der Lektüre wird einem die ganze Bandbreite menschlicher Empfindungen geschenkt. Hier schafft es Eine, die tief denkt und fühlt, über Unsagbares zu sprechen. Ermöglicht hat dieses herausragende Leseerlebnis für deutschsprachige Leser:innen die kongeniale Übersetzungsarbeit von Brigitte Oleschinski und Osman Yousufi.

 

V.l.n.r.: Brigitte Oleschinski, Lina Atfah, Osman Yousufi – ©Solveig Bostelmann

Lina Atfah wurde 1989 in Syrien geboren und studierte in Damaskus arabische Literatur. 2014 erhielt sie die Erlaubnis, das Land zu verlassen und kam nach Deutschland. 2019 wurde ihr erster Gedichtband auf Deutsch veröffentlicht: Das Buch von der fehlenden Ankunft, für das Lina Atfah 2020 im Rahmen der Frankfurter Buchmesse mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet wurde. Grabtuch aus Schmetterlingen folgte 2022 und war für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 nominiert. Seit 2014 lebt Lina Atfah in Wanne-Eickel.

Brigitte Oleschinski studierte Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin und promovierte 1993 zum Doktor der Philosophie. Neben ihrer Tätigkeit als Zeithistorikerin veröffentlicht sie seit 1990 Gedichte und Essays, u. a. MENTAL HEAT CONTROL (Rowohlt, 1990), und GEISTERSTRÖMUNG (DuMont, 2004). Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. 1998 mit dem Peter-Huchel-Preis und 2004 mit dem Erich-Fried-Preis.

Osman Yousufi, geboren 1989 in Aleppo, studierte Physik in Damaskus. Für das Projekt „Weiter Schreiben“ hat er seine ersten arabischsprachigen Texte ins Deutsche übersetzt, so auch Gedichte von Lina Atfah.

 

Mariusz Hoffmann: Polnischer Abgang

Anfang der 1990er Jahre: Als Spätaussiedler machen sich der 14-Jährige Jarek und seine Familie aus dem polnischen Salesche auf nach Deutschland, heimlich und ohne große Abschiede, ein „Polnischer Abgang“ halt. Ein mitreißender Coming-of-Age-Roman voller tragikomischer Momente, der so vieles erzählt über uns alle diesseits und jenseits der deutsch-polnischen Grenze und ganz besonders hier im Ruhrgebiet.

 

Mariusz Hoffmann – © Lionel Kreglinger, Piper Verlag

 

 

Mariusz Hoffmann wurde 1986 in Polen geboren. Er studierte Philosophie in Hamburg und Literarisches Schreiben in Hildesheim, wo er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift BELLA triste war. Beim 25. Open Mike wurde er in der Kategorie Prosa ausgezeichnet. 2019 war er Teilnehmer der Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung, 2020 Stipendiat im Künstlerhaus Lukas, Ahrenshoop. 2021 folgte ein Residenzstipendium des Goethe-Instituts in Broumov, Tschechien. 2022 erhielt er das Arbeitsstipendium für deutschsprachige Literatur des Berliner Senats und 2023 das Alfred-Döblin-Stipendium.

 

 

 

Lisa Roy: Keine gute Geschichte

Ein bemerkenswertes kompromissloses Debüt. Arielle, Anfang 30, Social-Media-Managerin in Düsseldorf, hat es rausgeschafft aus Essen-Katernberg. Nach Jahren kehrt sie das erste Mal zurück und wird schmerzhaft mit ihrer eigenen Vergangenheit und den Leerstellen darin konfrontiert. Die Geschichte ist illusionslos, unsentimental und authentisch. Lisa Roys Sprache direkt, bisweilen rotzig, auch mal brutal. Nein, es ist keine gute Geschichte, aber ein beindruckendes Buch.

Lisa Roy – © Heike Steinweg

 

 

Lisa Roy wurde 1990 in Leipzig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte in Dortmund und Köln und veröffentlichte in verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien. Für die Arbeit an ihrem ersten Roman Keine gute Geschichte erhielt sie 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den GWK-Förderpreis Literatur. Lisa Roy lebt mit ihrer Familie in Köln.

 

 

 


Martin Simons: Beifang

Eine Geschichte über Herkunft, deren Auswirkungen und die Frage, ob man ihr jemals entkommen kann. Ein Familienroman über Armut, Verzweiflung und Gewalt und die unterschiedlichen Überlebensstrategien der nachfolgenden Generationen. Martin Simons hat mit „Beifang“ einen Gegenentwurf zu den Wirtschaftswunderromanen geschaffen, authentisch, hart und doch berührend.

Martin Simons – © Till Franzen

 

 

 

Martin Simons wuchs in Selm auf und lebt heute mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher. Vor Beifang erschien von ihm Jetzt noch nicht, aber irgendwann schon (2019).

 

 

 

 


Für den Hauptpreis kamen herausragende Titel aus dem Ruhrgebiet und über das Ruhrgebiet in Frage, die im Zeitraum vom 1. Mai 2022 bis 30. April 2023 in einem Verlag oder per Selfpublishing erschienen sind. 50 literarische Werke aus unterschiedlichen Genres standen auf der Leseliste der Jury.

Wer den Hauptpreis gewinnt, wird während der Verleihungsgala am 14. September 2023 in der Kreuzeskirche in Essen bekannt gegeben.